
Als der Henequén-Boom Ende des 19. Jahrhunderts eine noch nie dagewesene Millionärsdichte nach Yucatán brachte, beschloss Gouverneur Guillermo Palomino 1888, Mérida mit einer Prachtachse nach französischem Vorbild aufzuwerten. Auf einer schnurgeraden Trasse vom Stadtviertel Santa Ana bis zum damaligen Nordrand legte Ingenieur Rafael R. Quintero einen Boulevard mit Mittelstreifen, Baumreihen und Kreisverkehren an, der nach Stadtgründer Francisco de Montejo benannt wurde. Mit seinen späteren Verlängerungen misst der Paseo heute über sechs Kilometer und verbindet das koloniale Zentrum mit der Ausfallstraße zum Hafen Progreso.
Die erste Bauphase dauerte von 1888 bis 1904; anschließend folgten nördliche Verlängerungen in den Jahren 1926, 1950 und 1979, ehe 1995 am Südende die heutige Plaza del Remate angelegt wurde. So diente der Paseo Schritt für Schritt als Stadterweiterungskorridor, an dem sich Banken, Konsulate und luxuriöse Wohnviertel ansiedelten, ohne die historische Ausstrahlung zu verlieren.
Markantester Bezugspunkt ist das Monumento a la Patria, das der in Mérida lebende Kolumbianer Rómulo Rozo zwischen 1945 und 1956 direkt vor Ort in rosa Tanchachín-Stein meißelte. Auf 14 Metern Höhe erzählen mehr als 300 Relieffiguren die Geschichte Mexikos von Tenochtitlán bis zur Revolution – seit 2025 wird die Erzählung freitagabends durch die 360-Grad-Videomapping-Show Isla de Luz (jeden Freitag ab 20:00 Uhr) illuminiert, die das Monument in ein farbiges Geschichtsbuch verwandelt.
Entlang der Flaniermeile reihen sich Villen, die den Höhenflug des „grünen Goldes“ konservieren. Die Quinta Montes Molina, 1902 als Villa Beatriz fertiggestellt und seit 1915 im Besitz derselben Familie, fungiert heute als Kulturzentrum. Im Jahr 2022 wurde ihre denkmalgerechte Umwandlung mit dem internationalen CEMEX-Preis für Bau-Innovation ausgezeichnet. Nur wenige Schritte weiter erheben sich die Casas Gemelas: zwei spiegelgleiche neoklassizistische Herrenhäuser von 1911, deren südliche Hälfte als Hausmuseum „Montejo 495“ seit 2024 öffentlich zugänglich ist und original erhaltenes Carrara-Marmor-Interieur zeigt. Den architektonischen Schlusspunkt setzt der Palacio Cantón (1904 bis 1911), heute Regionalmuseum für Anthropologie; nach einer sanften Modernisierung eröffnete er 2025 mit den neuen Ausstellungen „Ek Chuah“ und „Palacio Cantón: Testigo de la Historia“ neu.
Trotz des kolonialen Flairs ist der Paseo eine lebendige Bühne: Jeden Sonntagmorgen verwandelt die städtische BiciRuta Montejo einen drei Kilometer langen Abschnitt in eine autofreie Fahrrad- und Skate-Promenade, die Einheimische ebenso anzieht wie Gäste. Zwischen den Fahrbahnen kuratiert die Initiative „Mérida Ciudad de la Escultura“ seit 2014 ein wechselndes Freiluftmuseum für Großplastiken internationaler Künstler; selbst die Wikipedia vermerkt den Boulevard inzwischen als temporären Skulpturenpark. Wer nach Design-Souvenirs sucht, findet sie in der Concept-House-Boutique Casa T’hō, die seit 2017 mehrere Designerläden und ein Patio-Café in einer restaurierten Villa vereint und damit die einstige Vorzeigestraße kreativ neu belebt.
So spannt der Paseo de Montejo einen Bogen vom auf Sisalreichtum gegründeten Belle-Époque-Glanz bis zu heutigen Kunst- und Lifestyle-Formaten. Wer die Avenue entlangschreitet, liest wie in einem offenen Geschichtsbuch: Stein für Stein wird sichtbar, wie Mérida aus Maya-Wurzeln, kolonialem Erbe und modernem Erfindungsgeist eine der ikonischsten Kulturachsen Mexikos formte.







